Montag, März 03, 2008

F. Scott Fitzgerald: Ein Diamant, so groß wie das Ritz

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Im hellen Sternenlicht erhob sich am Ufer des Sees ein wunderschönes Schloß, stieg in marmorner Helle zur halben Höhe des neben ihm aufragenden Berges empor und verschwand dann in Anmut, in vollkommener Symmetrie, in halb durchsichtiger femininer Zartheit im dichten Dunkel eines Fichtenwaldes.

Die vielen Türme, der schlanke Zierat der schrägen Brüstungen, das feingemeißelte Wunder der tausend gelben Fenster mit ihren Rechtecken und Achtecken und Dreiecken von goldenem Licht, die sich schneidenden Flächen von Sternenlicht und blauem Schatten, all das zitterte in Johns Seele wie ein Musikakkord.

Auf der Spitze eines der Türme, des höchsten, dessen Fundament am schwärzesten war, schufen außen angebrachte Lichter eine Art schwebendes Feenland - und als John bezaubert hinaufblickte, wehte der schwache Klang von Violinen zu ihm hinunter in einer Rokokoharmonie, die mit nichts zu vergleichen war, was er je zuvor gehört hatte.

Einen Augenblick später hielt das Auto vor einer hohen, breiten Marmortreppe, und zahllose Blumen erfüllten die Nachtluft ringsum mit Duft. Am Ende der Treppe öffneten sich geräuschlos große Türflügel, und bernsteinfarbenes Licht flutete in die Dunkelheit hinaus, in dem sich wie ein Schattenriß die Gestalt einer wunderschönen Frau mit schwarzem, hochgestecktem Haar abzeichnete, die ihnen die Arme entgegenstreckte.
,,Mutter", sagte Percy, ,,das ist mein Freund John Unger aus Hades."

Hinterher erinnerte sich John an diesen ersten Abend als an ein verwirrendes Durcheinander von Farben, von schnell wechselnden Sinneseindrücken, von Musik, die so sanft wie die Stimme eines Verliebten, und von schönen Dingen, Schönheit in Lichtern und Schatten, Bewegungen und Gesichtern.

Da war ein weißhaariger Mann, der einen vielfarbigen stärkenden Trank aus einem kristallenen Fingerhut mit einem goldenen Stiel schlürfte.

Da war ein Mädchen mit einem Blumengesicht, gekleidet wie Titania, mit ins Haar geflochtenen Saphiren.

Da war ein Zimmer, in dem das feste, sanft schimmernde Gold der Wände unter dem Druck seiner Hand nachgab, und ein Zimmer, das wie die Wirklichkeit gewordene endgültige Stätte aussah.

Decke, Fußboden und Wände bedeckte eine fugenlose Schicht aus Diamanten, Diamanten jeder Größe und Form; und erhellt von großen violetten, in den Ecken angebrachten Lampen, blendete es die Augen mit einem weißen Glanz, der nur mit sich selbst verglichen werden konnte, da er jenseits aller menschlichen Wünsche und Träume lag.

Durch ein Labyrinth solcher Räume wanderten die beiden Jungen. Manchmal flammte der Boden unter ihren Füßen, von unten beleuchtet, in strahlenden Mustern auf, Mustern mit barbarischen, nicht miteinander harmonierenden Farben, Mustern in zarten Pastelltönen, in reinem Weiß; oder John erblickte kunstvolle, komplizierte Mosaiken, die sicher aus irgendeiner Moschee am Adriatischen Meer stammten. Manchmal sah er unter Schichten von dickem Kristall blaues oder grünes Wasser wirbeln, in dem es springlebendige Fische und regenbogenfarbiges Blätterwerk gab. Dann wieder schritten sie auf Pelzen jeglicher Art und Farbe dahin durch Korridore aus bleichestem Elfenbein...

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F. Scott Fitzgerald: Familie im Wind (Auszug)

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Butch Janney hatte den halben Heimweg bereits hinter sich, als er sie sah - eine riesige schwarze näherkommende Wolke, deren unterer Rand den Boden berührte. Während er noch verdutzt auf diese Erscheinung starrte, schien sie sich auszudehnen, bis sie den ganzen südlichen Himmel bedeckte, und er sah blasses elektrisches Feuer darin und hörte ein immer lauter werdendes Heulen.

Er war jetzt mitten in einem heftigen Wind; fliegende Trümmer, Stücke von abgebrochenen Ästen, Splitter, größere Gegenstände, die in der zunehmenden Dunkelheit nicht zu erkennen waren, flogen an ihm vorbei. Einem Instinkt gehorchend, stieg er aus seinem Auto aus, und da er sich in dem Wind kaum mehr aufrecht halten konnte, rannte er zu einer Böschung hin, oder vielmehr wurde er umgerissen und gegen die Böschung gepreßt. Dann befand er sich eine Minute lang, zwei Minuten lang im schwarzen Mittelpunkt der Hölle.

Zuerst war da das Geräusch, und er selbst war ein Teil dieses Geräuschs, war so völlig von ihm verschlungen und von ihm besessen, daß er außerhalb dieses Geräusches gar nicht mehr existierte. Es war eine Vielzahl von Geräuschen, es war das Geräusch selber; ein großer kreischender Bogen, der über die Saiten des Universums gezogen wurde. Das Geräusch und die unwiderstehliche Gewalt waren untrennbar. Das Geräusch ebenso wie die Gewalt nagelten ihn wie einen Gekreuzigten an der Böschung fest, die er fühlen konnte. Irgendwann in diesem ersten Augenblick, eine Seite seines Gesichts an den Boden geheftet, sah er, wie sein Auto einen kleinen Hüpfer machte, eine halbe Drehung vollführte und dann in großen, hilflosen Sprüngen über ein Feld setzte.


Dann begann das Bombardement, und das Geräusch teilte sich in ein Kanonendonnern und in das Knattern eines riesigen Maschinengewehrs. Er war nur halb bei Bewußtsein, als er fühlte, wie er selber Teil eines solchen Knatterns wurde, wie er von der Böschung fortgerissen und durch die Luft geschleudert wurde, durch eine blindmachende zerfleischende Masse von Zweigen und Ästen, und dann wußte er eine unbestimmbare Zeitlang überhaupt nichts mehr.

Sein Körper schmerzte. Er lag zwischen zwei Ästen in der Krone eines Baumes; die Luft war voller Staub und Regen, und er konnte nichts hören; es dauerte lange, bevor er merkte, daß der Baum, in dem er hing, umgerissen worden war und daß sein ungewollter Notsitz zwischen den Fichtennadeln sich nur anderthalb Meter über dem Erdboden befand.

,,Mann!" schrie er laut, zutiefst beleidigt, ,,Mann, was für ein Wind! Mann!"


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F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby (English)

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We walked through a high hallway into a bright rosy-colored space, fragilely bound into the house by French windows at either end. The windows were ajar and gleaming white against the fresh grass outside that seemed to grow a little way into the house. A breeze blew through the room, blew curtains in at one end and out the other like pale flags, twisting them up toward the frosted wedding cake of the ceiling--and then rippled over the wine-colored rug, making a shadow on it as wind does on the sea.

The only completely stationary object in the room was an enormous couch on which two young women were buoyed up as though upon an anchored balloon. They were both in white and their dresses were rippling and fluttering as if they had just been blown back in after a short flight around the house. I must have stood for a few moments listening to the whip and snap of the curtains and the groan of a picture on the wall. Then there was a boom as Tom Buchanan shut the rear windows and the caught wind died out about the room and the curtains and the rugs and the two young women ballooned slowly to the floor.
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* A Project Gutenberg of Australia eBook *
eBook No.:  0200041.txt
This eBook was produced by: Colin Choat


Stanislaw Lem: Solaris

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Knapp nach dem Untergang der blauen Sonne zeigte sich am nordwestlichen Horizont, zunächst von den Signalgeräten angekündigt fast ununterscheidbar mit dem rostrot blutenden Nebel verschmolzen und nur durch vereinzeltes Spiegelblitzen daraus hervortauchend, wie eine dort an der Grenzlinie zwischen Himmel und Plasma entsprießende gigantische Blume aus Glas - eine Symmetriade.

Die Station änderte jedoch den Kurs nicht, und der Koloß, der rot zuckte wie eine ausbrennende Lampe aus Rubinen, verbarg sich nach etwa einer Viertelstunde wieder hinter dem Horizont.
Noch einige Minuten, und eine hohe, schlanke Säule, deren Basis bereits durch die Krümmung des Planeten unseren Blicken entzogen war, schlug einige Kilometer weit empor, in der Atmosphäre lautlos anwachsend.

Dieses offenkundige Zeichen vom Ende der zuvor gesichteten Symmetriade, zur Hälfte blutig entbrannt, in der anderen Hälfte hell leuchtend wie eine Säule aus Quecksilber, wucherte auseinander zum zweifarbigen Baum; dann flossen die Enden seiner stärker und stärker aufquellenden Zweige zu einer einzigen pilzförmigen Wolke zusammen, deren oberer Teil im Feuer zweier Sonnen mit dem Wind auf weite Wanderschaft zog, während der untere in schweren, traubigen Trümmern, die ein Drittel des Horizonts durchflockten, überaus langsam absank.

Nach einer Stunde war die letzte Spur von diesem Schauspiel verschwunden.

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ICH WAR GOLD: Die Tagebücher der Anaïs Nin (1947 - 1955) / LSD

(Der Text ist stark gekürzt. Nur Visuelles blieb drin. s. "Motto" dieses blogs)

In English here: Anais Nin’s Doors of Perception

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Zuerst schien alles unverändert. Aber nach einiger Zeit, vielleicht nach zwanzig Minuten, bemerkte ich als erstes, daß der Teppich nicht länger flach und leblos war, sondern sich in ein Feld bewegter und wogender Haare verwandelt hatte, wie Seeanemonen oder ein Weizenfeld im Wind. Dann bemerkte ich, daß Türen, Wände und Fenster sich verflüssigten. Alles Starre verschwand. Es war, als sei ich auf den Grund des Meeres gestürzt, wo alles wogte und schwankte. Die Türgriffe waren nicht länger Tür­griffe; sie schmolzen und wiegten sich wie lebendige Schlan­gen. Jeder Gegenstand im Zimmer wurde zu einer lebendi­gen, beweglichen, atmenden Welt.

Ich ging in den Flur, von dem aus man mehrere kleinere Zimmer erreichte. Auf dem Weg war eine Tür, die in den Garten führte. Die Strahlen der Sonne blendeten mich, jeder der gol­denen Sonnenflecke vervielfachte und vergrößerte sich. Bäume, Wolken, Rasen hoben und senkten sich; die Wolken flogen mit unglaublicher Geschwindigkeit vorbei.

Ich wen­dete meinen Blick vom Garten ab und der glatten Tür zu, auf der delikate persische Muster, Blumen, Mandalas, Ornamente in perfekter Symmetrie erschienen. Während ich sie entwarf, verströmten sie ihre Musik. Wenn ich eine lange orangefarbene Linie zog, entströmte ihr ein orange­ner Ton. Mein Körper schwamm und flog. Ich fühlte mich fröhlich, unbeschwert und spielerisch. Es bestand eine voll­kommene Beziehung zwischen meinem Körper und allem, was passierte. Zum Beispiel bereiteten mir die Farben der Ornamente ebenso großen Genuß wie die Musik. Der Ge­sang der Spottdrosseln wurde vervielfältigt, und sie klan­gen wie ein ganzer Wald singender Vögel. Meine Sinne wurden vervielfältigt, als habe ich hundert Augen, hun­dert Ohren, hundert Fingerspitzen. Die Wandgemälde, die erschienen, waren vollendet, sie waren orientalisch, zer­brechlich und meisterhaft, aber dann verwandelten sie sich in orientalische Städte mit Pagoden, Tempeln, üppigen chinesischen Altären in Gold und Rot und in balinesische Musik. Die Musik vibrierte durch meinen Körper, als sei ich eines der Instrumente, und ich fühlte, daß ich zu einem ganzen Schlagzeugorchester wurde, grün wurde, blau und orange. Die Tonwellen rannen durch meine Haare wie eine Liebkosung. Die Musik glitt den Rücken hinunter und kam aus meinen Fingerspitzen. Ich war eine Kaskade rot-blauen Regens, ein Regenbogen. Ich war klein, leicht, beweglich. Ich konnte auf jede Art, die ich mir wünschte, schweben. Ich konnte mich auflösen; ich konnte schmelzen, gleiten, mich aufschwingen. Kleine Lichtwellen umflossen meine Kleider, phosphoreszierende Strahlen. Ich konnte mit mei­nem dritten Auge eine neue Welt sehen, eine Welt, die mir vorher entgangen war. Ich entdeckte Bilder hinter Bildern, die Mauern hinter dem Himmel, den Himmel hinter dem Unendlichen. Die Mauern wurden zu Fontänen, die Fon­tänen zu Bögen, die Kuppeln zu Himmeln, der Himmel ein blütenbedeckter Teppich, und alles löste sich auf in reinen Raum. Ich blickte auf eine zarte Linie, die sich in den Raum wölbte und in die Unendlichkeit verschwand. Ich sah eine Million Nullen auf dieser Linie, dem Bogen folgend, in der Entfernung kleiner werdend, und ich lachte. (...)

Ich stand allein am Rand eines Planeten. Ich konnte das schnelle Dahinbrausen der Planeten hören, die sich im Raum drehten. Dann bewegte ich mich zwischen den Planeten, und ich erkannte, daß ein gewisses Maß an Geschicklichkeit notwendig sein würde, um mit dieser neuen Art der Beförderung zurechtzukom­men. Mich selbst im Raum stehen zu sehen, wie ich ver­suchte, meine »Raumbeine« zu erreichen, amüsierte mich. Ich fragte mich, wer vor mir dagewesen war, und ob ich zur Erde zurückkehren würde. (...)

Zwei Empfindungen begannen mich zu quälen: daß alles zu schnell geschah und ich nicht in der Lage sein würde, mich daran zu erinnern, und daß ich nicht in der Lage sein würde, mitzuteilen, was ich sah, es war alles zu flüchtig und zu überwältigend. Die Tempel wuchsen höher, die Musik wurde wilder, es ent­stand eine Flutwelle von Tönen, in der Gongs und Glocken überwogen. Goldspitzen verströmten langanhaltende Flö­tentöne. Jede Linie und jede Farbe atmete und veränderte sich unaufhörlich.
Da begann ich zu bemerken, daß ich beim Atmen Schwierigkeiten hatte. Mir war schrecklich kalt, und ich fühlte mich in meinem Cape sehr klein, als hätte ich eine Verwand­lung wie Alice im Wunderland durchgemacht. (...)

Ich legte mich hin und deckte mich zu. Ich rauchte eine Zigarette. Ich blickte auf die Vorhänge des Zimmers, und sie verwandelten sich in gazeartiges Gold. Der gesamte Raum war von Gold erfüllt wie von einer kraftvollen Sonne. Die Wände wurden golden, die Bettdecke war aus Gold, mein ganzer Körper wurde zu Gold, flüssiges Gold, funkelndes, warmes Gold. ICH WAR GOLD. Es war die lustvollste Empfindung, die ich je hatte. Es war das Geheimnis des Lebens, das alchemistische Geheimnis des Lebens. Aus dem Gefühl strenger Kälte, dem Gefühl chloroformiert zu sein, aus dem Verlust der Schwer­kraft in den Beinen und aus dem Gefühl der Verkleinerung, glitt ich hinein in die Empfindung, Gold zu sein. Plötzlich weinte ich, weinte ich. Ich konnte die Tränen fühlen und ich sah das Taschentuch in meiner Hand. Ich weinte bis zum Punkt völliger Auflösung. (...)

Ich beobachtete einen Küstensaum mit golde­nen Wellen, die sich an Felsen aus Goldstaub brachen, zu Goldschaum wurden und zu goldenem Haar, schimmernd und vibrierend, erfüllt von goldenen Freuden. Ich fühlte, daß ich das Geheimnis ergreifen könnte, denn das Geheimnis des Lebens lag in der Metamorphose und Transmuta­tion, aber es verschwand zu schnell und war jenseits von Worten. (...)

Die Tagebücher der Anaïs Nin (1947 - 1955)
Fischer Taschenbuch Verlag, 1981, S. 364-369

Die Tagebücher der Anaïs Nin (1931 - 1934)

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Sooft ich in Montmartre den Bus verließ, konnte ich die Musik von den Karussells am Rummelplatz hören, und meine Stimmung, mein Gang, mein ganzer Körper wurden von dieser Heiterkeit mitgerissen.

Ich schlüpfte in eine Seitenstraße, klopfte an ein düsteres Tor, das von einer unfrisierten Concierge ge­öffnet wurde, und lief die Stufen hinab zu einem großen Raum unter dem Straßenniveau, einem riesigen Kellerraum mit Spie­geln an den Wänden. Die kleinen Mädchen vom Opernballett probten dort.

Auf der Treppe hörte ich schon das Klavier, stampfende Füße und die Stimme des Ballettmeisters. Wenn das Klavier aussetzte, erhob sich seine scheltende Stimme und ein Gewisper von schwächeren Stimmen.

Bei meinem Eintritt löste sich die Klasse auf, und ein Windstoß kleiner Mädchen wischte an mir vorbei, in ihren verschlissenen Ballettkostümen, lachend, flüsternd, wie Motten dahinflatternd in ihren staubigen Tanzschühchen, Schneewirbel in der Weite des dunklen Rau­mes, und die Anstrengung stand ihnen noch in Schweißtröpf­chen auf der Stirn.

Ich lief mit ihnen durch die Korridore zu den Umkleideräumen, die wie Gärten aussahen mit all den Ballett­röcken und den spanischen Kostümen, die über den Stangen hingen. Die Luft war übersättigt mit dem Geruch nach Ge­sichtscremes, Puder und billigem Kölnischwasser.

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Die Tagebücher der Anaïs Nin (1931 - 1934)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1981, S. 283-284

Cornell Woolrich: Die Nacht hat tausend Augen



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Jetzt war es hell draußen vor dem kleinen Restaurant, die Nacht war vorüber, und die Sterne waren verschwunden. Im Inneren bemerkte Shawn, daß die Lampen an den Wän­den gegen das heller werdende Tageslicht einen aussichtslo­sen Kampf geführt hatten. Sie waren zu schmutziggelben Kugeln verblaßt, die das Licht in sich abschlossen, ohne etwas nach außen abzugeben. Als sie schließlich alle auf ein­mal ausgingen, ausgelöscht durch einen Hauptschalter, war der Unterschied nicht wahrnehmbar.

Draußen wurde es immer heller. Das Blau verschwand allmählich, mehr und mehr Weiß sickerte ein. Dann ver­wandelte sich das Weiß in ein warmes Gelb, der Tag war mit voller Kraft angebrochen. Die gelegentlich vor den Fen­stern vorbeigehenden Gestalten wurden immer zahlreicher und zeichneten sich deutlicher ab. Aus verschwommenen, anonymen Silhouetten wurden dreidimensionale Fußgän­ger, vollständig und ausgeformt, mit eigenen Schatten, die hinter ihnen über das Glas glitten. Selbst die Spiegelschrift auf dem Glas hatte jetzt einen eigenen Schatten, der weit da­hinter, im Inneren auf dem Fußboden lag: CAFE.

Ein Bus schaltete herunter, das Geräusch drang zu ihnen in die Stille. Einen Augenblick später konnte man es klirren hören, als eine Münze in die Kasse gesteckt wurde. Danach glitt der Bus brummend vorbei und verschwand. Draußen fegte der Kellner die Straße, man hörte das Zischen und Kratzen seines Besens auf dem Gehsteig, ein kräftiges Weg­stoßen, dann eine Pause, wenn er ihn wieder zurückzog. Jemand löste die Schnur einer Markise über einem Stand oder einem Schaufenster, und sie kam mit einem gummi­artigen Klatschen herunter.

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Aus:
Cornell Woolrich: Die Nacht hat tausend Augen
Zürich, 1989

Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen

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Schon sah ich dunkel die Mar­morklippen ragen, wie schwarze Riffe am Lavameer. Und während ich die Hunde im Rücken hörte, erklomm ich hastig die schroffe Zinne, von deren Rande unser Auge so oft im hohen Rausche die Schönheit dieser Erde in sich eingetrun­ken hatte, die ich nun im Purpurmantel der Vernichtung sah.

Nun war die Tiefe des Verderbens in hohen Flammen offenbar geworden, und weithin leuchteten die alten und schönen Städte am Rande der Marina im Untergange auf. Sie funkelten im Feuer gleich einer Kette von Rubinen, und kräuselnd wuchs aus den dunklen Tiefen der Gewässer ihr Spiegelbild empor. Es brannten auch die Dörfer und die Weiler im weiten Lande, und aus den stolzen Schlössern und den Klöstern im Tale schlug hoch die Feuersbrunst empor. Die Flammen ragten wie goldene Palmen rauchlos in die unbewegte Luft, indes aus ihren Kronen ein Feuerregen fiel. Hoch über diesem Funkenwirbel schwebten rot angestrahlte Taubenschwärme und Reiher, die aus dem Schilfe aufgestie­gen waren, in der Nacht. Sie kreisten, bis ihr Gefieder sich in Flammen hüllte, dann sanken sie wie brennende Lampione in die Feuersbrunst hinab.

Als ob der Raum ganz luftleer wäre, drang nicht ein Laut herauf; das Schauspiel dehnte sich in fürchterlicher Stille aus. Ich hörte dort unten nicht die Kinder weinen und die Mütter klagen, auch nicht das Kampfgeschrei der Sippen­bünde und das Brüllen des Viehes, das in den Ställen stand. Von allen Schrecken der Vernichtung stieg zu den Marmor­klippen einzig der goldene Schimmer empor. So flammen ferne Welten zur Lust der Augen in der Schönheit des Un­terganges auf.

Auch hörte ich nicht den Schrei, der meinem Mund ent­stieg. Nur tief in meinem Inneren, als ob ich selbst in Flammen stünde, hörte ich das Knistern der Feuerwelt. Und nur dies feine Knistern konnte ich vernehmen, während die Pa­läste in Trümmer fielen und aus den Hafenspeichern die Ge­treidesäcke hoch in die Lüfte stiegen, um glühend zu zer­sprühen. Dann flog, die Erde spaltend, der große Pulver­turm am Hahnentore auf. Die schwere Glocke, die seit tau­send Jahren den Belfried zierte und deren Klänge Unzählige im Leben und im Sterben geleitet hatten, begann erst dun­kel und dann immer heller aufzuglühen und stürzte endlich, den Turm zermalmend, aus ihrem Lager ab. Ich sah die Gie­belfirste der Säulentempel in roten Strahlen leuchten, und von den hohen Sockeln neigten sich mit Schild und Speer die Götterbilder nieder und sanken lautlos in die Glut.

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Aus: Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen (Roman)
Berlin, 1998, Ullstein, S. 124f

Montag, Oktober 04, 2004

Joseph von Eichendorff: Ahnung und Gegenwart (2)

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Gegen Abend lagerten wir uns auf einem schönen, waldigen Berge, dem gräflichen Schlosse gegenüber, das jenseits eines Stromes eben­falls auf einer Anhöhe mit seinen Säulenportalen und seinem italieni­schen Dache sich recht lustig ausnahm. Wir wollten hier die Dunkel­heit abwarten. Der letzte Widerschein der untergehenden Sonne flog eben wie ein Schattenspiel über die Gegend. Unten auf dem Flusse zogen mehrere aufgeschmückte Schiffe voll Herren und Damen mit bunten Tüchern und Federn lustig auf das Schloß zu, während von beiden Seiten Waldhörner weit in die Berge hinein verhallten.

Als es endlich ringsumher still und finster wurde, sahen wir, wie im Schlosse drüben ein Fenster nach dem andern erleuchtet wurde und Kronleuchter mit ihren Kreisen von Lichtern sich langsam zu drehen anfingen. Auch im Garten entstand ein Licht nach dem andern, bis auf einmal der ganze Berg, mit Sternen, Bogengängen und Girlanden von buntfarbigen Glaskugeln erleuchtet, sich wie eine Feeninsel aus der Nacht hervorhob. Ich überließ meine Begleiter ihren Beratschlagungen und Kunstgriffen und begab mich allein hinüber zu dem Feste, ohne eigentlich selber zu wissen, was ich dort wollte.

Von der Seite, wo ich auf dem Berg hinaufgekommen, war kein Eingang. Ich schwang mich daher auf die Mauer und sah, so da dro­ben sitzend, in den Zaubergarten hinein, aus dem mir überall Musik entgegenschwoll. Herren und Frauen spazierten da in zierlicher Fröhlichkeit zwischen den magischen Lichtern, Klängen und schim­mernden Wasserkünsten prächtig durcheinander. Auch mehrere Masken sah ich wie Geister durch den lebendigen Jubel auf und ab wandeln.

Mich faßte bei dem Anblick auf meiner Mauer oben ein blindes, wildes, unglückseliges Gelüst, mich mit hineinzumischen. Aber meine von Regen und Wind zerzauste Kleidung war wenig zu einem sol­chen Abenteuer eingerichtet. Da erblickte ich seitwärts durch ein of­fenes Fenster eine Menge verschiedener Masken in der Vorhalle des Schlosses umherliegen. Ohne mich zu besinnen, sprang ich von der Mauer herab und in das Vorhaus hinein. Eine Menge Bediente, halb berauscht, rannten dort mit Gläsern und Tellern durcheinander, oh­ne mich zu bemerken oder doch weiter zu beachten. Ich zettelte da­her den bunten Plunder von Masken ungestört auseinander und zog zufällig eine schwarze Rittertracht nebst Schwert und allem Zubehör hervor. Ich legte sie schnell an, nahm eine danebenliegende Larve vor und begab mich so mitten unter das Gewirre in den Glanz hinaus.


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